TEXT: Pascal Rusterholz, Rechtsanwalt
Markus Müller arbeitet als Polier und wird auf eine Baustelle versetzt, die 90 Minuten von seinem Wohnort entfernt liegt – und nicht wie vereinbart 30 Minuten.. Er stellt sich die Frage, ob er Anspruch auf eine Entschädigung für die nun zusätzlich anfallende Reisezeit hat, und falls ja, wie diese berechnet wird.
Die rechtliche Grundlage für die Beantwortung dieser Fragen ist im Obligationenrecht sowie in den einschlägigen Einzel- oder Gesamtarbeitsverträgen zu finden. Gemäss Obligationenrecht (vgl. Art. 327a und b) hat der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer alle durch die Ausführung der Arbeit notwendig entstehenden Auslagen – wie Reise- und Verpflegungskosten – zu ersetzen. Eine feste Entschädigung als Auslagenersatz, namentlich Taggeld oder eine pauschale Wochen- oder Monatsvergütung, ist möglich, sofern dies schriftlich so vereinbart wurde oder durch den Gesamtarbeitsvertrag (GAV) so geregelt ist (auch ein Normalarbeitsvertrag kann eine solche Regelung vorsehen).
Poliere und Werkmeister sind oft auf wechselnden Baustellen tätig. Für sie besonders relevant ist der Baukadervertrag (vgl. insbesondere Art. 12; Gesamtarbeitsvertrag für Baukader [Poliere und Werkmeister]). Dieser greift, wenn keine einzelvertragliche Abmachung zwischen dem Betrieb und dem Arbeitnehmenden bezüglich Versetzungsentschädigung existiert.
Arbeitnehmende, die an auswärtigen Arbeitsorten eingesetzt werden, haben Anspruch auf eine Entschädigung für die notwendige Reisezeit. Zu berücksichtigen ist allerdings die Situation, in der die Reisezeit pro Tag insgesamt weniger als 30 Minuten darstellt. In diesem Fall wird die Reisezeit nämlich grundsätzlich nicht entschädigt. Zu beachten ist hier sodann auch, dass der Weg zum und vom Arbeitsort nicht zur Arbeitszeit gezählt wird. Als Reisezeit gilt deswegen lediglich die Hin- und Rückfahrt von und zur Sammelstelle. Ausgenommen von dieser Regelung wird hingegen der Fahrer, für welchen bereits die erste Minute ab Abfahrt von der Sammelstelle als Arbeitszeit gilt und somit vergütet wird. Fährt ein Arbeitnehmender direkt von seinem Wohnort aus an die weiter als gewohnt gelegene Baustelle, wird auch in diesem Fall die zusätzliche Reisezeit erst ab der dreissigsten Minute vergütet.
Zusammenfassend entsteht der Anspruch auf Entschädigung in der Regel, wenn folgende Bedingungen erfüllt sind:
Zur Veranschaulichung dieser Situation dient folgende Beispielsrechnung: Angenommen, die normale Pendelzeit eines Poliers beträgt 30 Minuten, und durch die Versetzung verlängert sich die Anreise auf 90 Minuten. Die Differenz von 60 Minuten wäre hier als Arbeitszeit zu vergüten. Bei einem Stundenlohn von CHF 40.– würde dies einer zusätzlichen Vergütung von CHF 40.– pro Tag entsprechen.
Die Entschädigung der Reisezeit wird normalerweise auf Basis des regulären Stundenlohns des Arbeitnehmers berechnet. Wichtig ist, dass die Abmachungen mit den geltenden steuerlichen Vorschriften in Einklang stehen, da Reisekosten auch Auswirkungen auf die Lohnabrechnung haben können.
Fazit: Für Poliere und Werkmeister, die aufgrund von Versetzungen auf Baustellen mit längeren Anfahrtswegen konfrontiert werden, gilt, dass die zusätzliche Reisezeit grundsätzlich als Arbeitszeit zu entschädigen ist. Es empfiehlt sich, die entsprechenden Regelungen sowohl im Arbeitsvertrag als auch im GAV genau zu prüfen. Falls keine Pauschalregelung besteht, sollten Arbeitgeber und Arbeitnehmer eine schriftliche Vereinbarung treffen, um mögliche Missverständnisse zu vermeiden.