17. Dezember 2025

Vaterschaftsentschädigung: In welchem Umfang besteht der Anspruch?

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Im Allgemeinen wird während des Vaterschaftsurlaubs ein Lohn entrichtet, jedoch nur im Umfang von 80 Prozent. Bei Arbeitsunfähigkeit infolge eines Unfalls oder Krankheit wird gemäss GAV der Lohn vollständig, d.h. zu 100 Prozent, ausbezahlt. Besteht daher auch während dem Vaterschaftsurlaub ein Anspruch auf die Entrichtung des vollumfänglichen Lohnes bzw. fällt der Vaterschaftsurlaub unter Krankheit/Unfall im Sinne des GAV?

Von Pascal Rusterholz

Markus Müller arbeitet als Werkmeister und erwartet mit seiner Ehefrau ein Kind. Kurz nach der Geburt ihres gemeinsamen Kindes macht er seinen Anspruch auf den zweiwöchigen Vaterschaftsurlaub geltend und erhält infolge dessen für diesen Zeitraum nur 80% seines Lohnes. Nun stellt er sich die Frage, ob er einen Anspruch auf eine volle Vergütung während des Vaterschaftsurlaubs hat, und falls ja gestützt worauf.

Die rechtlichen Grundlagen für die Beantwortung dieser Fragen befinden sich im Obligationenrecht sowie im Erwerbsersatzgesetz und dem einschlägigen Gesamtarbeitsvertrag für Baukader. Gemäss Obligationenrecht hat der «andere Elternteil» im Grundsatz einen Anspruch auf zweiwöchigen Urlaub (vgl. Art. 329g Abs. 1 OR). Die Frage der Vergütung wird darin jedoch nicht geklärt. Deren Beantwortung bedarf der Konsultation des Erwerbsersatzgesetzes (EOG). Dieses statuiert als Höhe der Entschädigung ein Taggeld von 80 Prozent des durchschnittlichen Erwerbseinkommens, das vor dem Beginn des Entschädigungsanspruchs erzielt wurde (vgl. Art. 16l Abs. 1 EOG).

Fraglich ist nun aber, ob der Vaterschaftsurlaub ein Fall von Art. 324a OR (Lohn bei Verhinderung des Arbeitnehmers) darstellen könnte. Wie bereits zu Beginn kurz geschildert, besteht bei Vorliegen der Voraussetzungen für eine Dauer von mindestens drei Wochen – je nach Länge des Arbeitsverhältnisses unter Umständen auch mehr – ein Anspruch auf Entrichtung des vollen Lohnes bei einer Verhinderung der Arbeitsleistung aus Gründen wie Krankheit, Unfall oder auch der Erfüllung gesetzlicher Pflichten wie bspw. dem Militärdienst (Art. 324a Abs. 1 OR).

Da der Vater resp. der andere Elternteil jedoch nicht effektiv durch Krankheit oder infolge eines Unfalls an der Arbeitsleistung verhindert ist, sondern vielmehr gesetzlich für einen bestimmten Zeitraum freigestellt ist, fällt nach heutiger Lehre die Frage nach der Entschädigung während des Vaterschaftsurlaubs nicht unter die Anwendung des Obligationenrechts. Vielmehr begründet das Obligationenrecht den gesetzlichen Urlaubsanspruch, dessen Entschädigung hingegen wird im Erwerbsersatzgesetz abschliessend geregelt.

Einige wenige Fachleute vertreten die Meinung, man könne den Anspruch auf den vollen Lohn während des Vaterschaftsurlaubs dadurch begründen, dass man die Regeln zum Mutterschaftsurlaub analog anwendet.   Beim Mutterschaftsurlaub muss der Arbeitgeber den Lohn nach Art. 324a OR zahlen, wenn die Voraussetzungen für die Mutterschaftsentschädigung (EO) nicht erfüllt sind. Die Lehre nimmt bei Ersterem eine Lohnfortzahlungspflicht der Arbeitgeberin nach Art. 324a OR an, wenn die Leistungsvoraussetzungen gemäss Erwerbsersatzgesetz nicht erfüllt sind und deshalb die Mutterschaftsversicherung ausfällt. Somit könnte hiermit eine Lohnfortzahlungspflicht im vollen Umfang analog zu den Bestimmungen des Mutterschaftsurlaubs konstruiert werden. Dabei ist jedoch wiederum zu beachten, dass es beim Vaterschaftsurlaub einige Unterschiede zum Mutterschaftsurlaub gibt. Namentlich, dass die Geburt des Kindes beim Vater nicht zu einer zwingenden Arbeitsunfähigkeit führt und der Vater in Bezug auf die Ausgestaltung und den Zeitpunkt des Urlaubs mehr Freiheiten besitzt. Ausserdem basiert die analoge Anwendung auf Sonderfällen der Mutterschaft wie z.B. medizinische Komplikationen oder Nichterfüllung der EOG-Voraussetzungen, die sich nicht systematisch auf den Vater übertragen lassen. Unter Berücksichtigung dieser Aspekte scheint eine andere Behandlung der Mutter wiederum gerechtfertigt, sodass auch diese Auffassung einen Anspruch auf Entrichtung des vollen Lohnes kaum zu begründen vermag.

Man kann jedoch, um eine vaterfreundlichere Lösung zu erzielen, von den arbeitsrechtlichen Bestimmungen über den Vaterschaftsurlaub des Obligationenrechts und auch von jenen über die Höhe der Entschädigung des Erwerbsersatzgesetzes abweichen, indem man in einem Einzel- oder Gesamtarbeitsvertrag begünstigende Bestimmungen sowohl bezüglich der Dauer wie auch der Höhe der Entschädigung trifft. In einer solchen Konstellation besteht keine Anspruchskonkurrenz zwischen dem gesetzlichen Anspruch und jenem aus der EAV-/GAV-Regelung, da Letztere nach dem Günstigkeitsprinzip Bestand haben, soweit sie für den Arbeitnehmer günstiger sind, als das Gesetz. Im GAV für Baukader wurde aber keine solche Regelung getroffen. Auch der LMV für das schweizerische Bauhauptgewerbe sieht eine solche Lösung vor.

Fazit: Poliere und Werkmeister haben weder gestützt auf die arbeitsrechtlichen Bestimmungen des Obligationenrechts noch auf die Bestimmungen des Erwerbsersatzgesetzes betreffend die Höhe der Entschädigung noch unter dem derzeit geltenden GAV oder LMV während des Vaterschaftsurlaubs einen Anspruch auf die Entrichtung des vollen Lohnes. Auch eine Analogie zum Mutterschaftsurlaub lässt sich kaum begründen und rechtfertigen. Allerdings besteht die Möglichkeit den Vater in Bezug auf die Dauer seines Urlaubs und die Höhe der Entschädigung während dieses Urlaubs in einem Einzelarbeitsvertrag zu begünstigen.